Wir müssen uns kurzfristig schwächer machen, um langfristig stärker zu werden. Was bedeutet es denn, im Jugendfußball zu rotieren? Wie sieht das aus? Ändern wir die Startaufstellung Woche für Woche oder rotieren wir die Positionen während des Spiels? Wir sagen, dass es die Mischung macht!
Fragt man Kinder, auf welcher Position sie spielen wollen, gibt es meist nur eine Antwort: Stürmer. Keine andere Position im Fußball übt eine derart große Anziehungskraft aus. Mit sechs oder acht oder gar zehn Stürmern auf dem Feld ist jedoch kaum ein Spiel zu gewinnen. Ob sie wollen oder nicht, die Kinder müssen in den sauren Apfel beißen und auch in der Verteidigung, im Mittelfeld und auf den Flügeln ran. In unserem Training sorgen wir dafür, dass sich alle Kinder den sauren Apfel zu gleichen Teilen schmecken lassen. Bis zum Ende der D-Jugend spielen wir ohne feste Positionen. Nach einem vorher festgelegten Rotationsprinzip wechseln die Kinder die Positionen sogar während des Spiels. Ein Kind spielt also in ein und demselben Spiel in der Abwehr, auf dem Flügel, im zentralen Mittelfeld und schließlich im Sturm. Die Wechsel erfolgen in der F- und E-Jugend alle zehn Minuten. In der D-Jugend wird alle 15 Minuten getauscht, um langsam die Spezialisierung voranzutreiben. Ab der C-Jugend wird dann auf die ausbildungsorientierte Rotation verzichtet und die Spieler werden auf ihre Positionen festgelegt. Aus taktischen Gründen kann aber natürlich weiterhin rotiert werden. In der F- und E-Jugend rotieren wir sogar den Torwart und wechseln diesen in der Halbzeitpause. Der bisherige Torwart geht dann einfach ins Feld. Zum nächsten Spiel wird die Rotation einfach um einen Wechsel weitergedreht. Für den Wechsel des Torwartes wird für jeden Spieltermin eine Torwartliste anhand der aufsteigenden Rückennummern der Kinder erstellt.
Rotation in der F- und E-Jugend - Im 6+1 wechseln wir alle 10 Minuten. Die Spieler rücken nach dem aufgezeigten Schema eine Position weiter. Der Torwart (nicht im Bild) wird zur Halbzeit gewechselt.
WICHTIG:
Bei eigenen schwächeren Mannschaften wird die Rotationszeit zunächst verlängert, damit die Spieler nicht komplett überfordert werden. Gerade bei Anfängern würde man zunächst den Kindern eher schaden, als ihnen damit zu nutzen. Daher rotieren wir hier nur in der Halbzeit und passen die Zeiten in den kommenden Spielen Stück für Stück der Entwicklung der Kinder entsprechend an. Sobald die Kinder sich durch Training und Spiele verbessert haben, verstärken wir die Rotation und verkürzen die Intervalle. Eventuell gehen wir nochmal einen Zwischenschritt und rotieren innerhalb gewisser Spielräume, also z.B. Außenverteidiger mit offensiven Flügelspieler auf der selben Seite. Manchmal macht es bei kompletten Anfängern auch Sinn, nur jedes Spiel oder alle zwei/drei Spiele zu rotieren, damit sich die Kinder erstmal an grundsätzliche Abläufe gewöhnen können. Sobald dies der Fall ist, sollte aber ein Wechsel alle 10 bis 15 Minuten angestrebt werden. Und die Erfahrung zeigt: die Kinder gewöhnen sich relativ schnell daran und sind natürlich so oft noch mit schweren Aufgaben konfrontiert. Aber es macht sie langfristig zu besseren Spielern.
Dieses Rotationsprinzip hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens geben wir so jedem Kind die gleiche Spielzeit und somit die gleiche Möglichkeit sich weiter zu entwickeln. Viele Trainer neigen aus falschem Gewinndenken dazu, stärkeren Spielern mehr Einsatzzeit zu geben als schwächeren. Damit vergrößern sie allerdings nur die Kluft zwischen den Spielern, denn auf der Auswechselbank ist noch niemand ein besserer Fußballer geworden. Zweitens erreichen wir mit dem Rotationsprinzip, dass jeder unserer Spieler jede Position auf dem Feld kennen lernt. Warum ist das wichtig? Nur durch das Rotationsprinzip verschaffen wir jedem Spieler die Möglichkeit ein umfassendes Spielverständnis und eine gehobene Spielintelligenz zu entwickeln, bevor er später in der C-Jugend seine Position findet.
Erinnern wir uns noch einmal an das Ausbildungsziel aller Trainer: Wir wollen die Spieler hinsichtlich ihrer Koordination und Schnelligkeit perfekt ausbilden. Und wir wollen natürlich zuvorderst technisch perfekte Fußballer mit einem hohen taktischen Verständnis schulen.
Nur wie soll sich bei einem Jungen taktisches Verständnis entwickeln, wenn ihn sein Trainer aufgrund seiner Schnelligkeit immer nur auf dem Flügel einsetzt? Auf dem Papier ist die Entscheidung des Trainers sogar richtig. Der Flügel ist schließlich die Position, auf der ein Spieler am stärksten von seiner Schnelligkeit profitiert. Dennoch ist die Entscheidung für die Ausbildung des Spielers insgesamt falsch. Spielt man ausschließlich auf dem Flügel, hält sich der taktische Erkenntnisgewinn für den Spieler in Grenzen. Es ist dort sehr viel leichter als im zentralen Mittelfeld zu spielen, weil man immer eine Linie hat, an der man sich orientieren kann. Man kann an der Seitenlinie von einer Seite aus gar nicht attackiert werden. Im Zentrum dagegen wird man von allen Seiten angegriffen und muss wesentlich mehr dafür tun, um den Ball nicht wieder zu verlieren. Also ab mit dem Jungen ins Mittelfeld genau wie mit den Innenverteidigern, zu deren wichtigsten Aufgaben heutzutage die Spieleröffnung gehört. Das Meistern dieser Aufgabe wird den Verteidigern ohne Zweifel besser gelingen, wenn sie während ihrer Ausbildung auch genau dort gespielt haben, wo Spieleröffnungen das A und O sind: im zentralen Mittelfeld. Von modernen Torhütern wird immer mehr verlangt, dass sie mitspielen, zum Teil erfüllen sie mittlerweile Aufgaben des früheren Liberos oder rücken mit den beiden Innenverteidigern gar in eine Art Dreierkette. Warum sorgen wir also nicht dafür, dass unsere zukünftigen Torhüter über reichlich Spielerfahrung im Feld verfügen? Für einen Torhüter ist es außerdem extrem hilfreich, wenn er selbst als Stürmer gespielt hat und versteht, wie ein Stürmer denkt und weiß, welche Laufwege für den Stürmer leichter sind. Er kann so in bestimmten Situationen viel eher die richtige Entscheidung für sein Stellungsspiel als Torwart zu treffen.
Rotation in der D-Jugend - Im 8+1 wechseln wir nur noch alle 15 Minuten und in Pärchen. Insgesamt finden sich vier Pärchen auf dem Feld. Paar 1: die beiden Stürmer. Paar 2: der linke und halb linke Mittelfeldspieler. Paar 3: der halb rechte und rechte Mittelfeldspieler. Paar 4: die beiden Verteidiger. Ein Paar verlässt das Feld, das andere kommt herein.
Indem jeder Spieler auf jeder Position ran muss, öffnen wir den Horizont der Kinder für das Fußballspiel als Ganzes. Durch die Rotation lernen Kinder die einzelnen Positionen nicht nur kennen, sondern sie beginnen sie auch wertzuschätzen. Es ist gar nicht verkehrt, wenn ein Stürmer lernt, mit welcher Disziplin und Konzentration die Verteidiger hinten das Spiel verfolgen müssen. Oder welche Strecken man auf dem Flügel hoch- und runterackert. Und es ist für jeden Spieler eine gute Erfahrung zu sehen, dass die Sache mit dem Tore schießen zwar an und für sich großen Spaß macht, aber eben auch nicht so einfach ist, wie man sich das immer vorstellt. Der Effekt der Rotation für den Mannschaftsgeist ist enorm. In einem Team mit Rotationsprinzip werden die Spieler viel weniger übereinander schimpfen und einander kaum Vorhaltungen machen, weil sie selbst wissen, wie schwer es ist, auf jeder Position zu spielen. Wir alle kennen das ja selbst: Als Stürmer schimpft man gern über die Abwehrspieler, die viel zu viele Gegentore zulassen. Und als Abwehrspieler motzt man am liebsten über Stürmer, die vorne die Chancen reihenweise liegen lassen. Mit dem Rotationsprinzip tut sich diese Kluft gar nicht erst auf. Schließlich ist jeder Spieler mal Stürmer und mal Verteidiger. Und sollten Sie dann eines Tages sogar erleben, wie ihr Sechser im Mittelfeld unter Druck gerät und einer ihrer Flügelspieler sofort nach hinten sprintet, um seinem Sechser zu helfen, weil er aus eigener Erfahrung weiß, das ein Ballverlust auf der Sechs meist sehr viel größere Konsequenzen nach sich zieht, als wenn man ihn an der Seitenlinie vertändelt, dann wissen Sie, dass Sie als Trainer alles richtig gemacht haben.
Das Rotationsprinzip umfasst nicht nur das Positionsspiel, sondern auch die Ausführung von Freistößen und Ecken. Auch hier müssen sich die Kinder abwechseln. Einerseits, um jedem Kind die Möglichkeit zu geben, sich die entsprechenden Fähigkeiten anzueignen, andererseits, um das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Mannschaft zu stärken und jedem Kind das Gefühl zu geben, dazu zugehören. Sehr oft sieht man, wie bereits in Jugendmannshaften immer ein und dieselben Kinder die Ecken oder Freistöße treten dürfen, weil sie es bereits besser können als die anderen. Auf diese Weise zementiert ein Trainer ohne Not und getrieben von einem falschen Gewinndenken eine Leistungshierarchie. Sollten auch Sie als Trainer solche Freistoßexperten im Team haben, wurden sie sicher schon mal von einem anderen Kind gefragt, warum es nicht auch mal einen Freistoß schießen darf. Schicken Sie uns doch bitte eine Mail, falls Sie eine wirklich überzeugende Antwort auf diese Frage wissen. Uns ist nämlich noch keine eingefallen.
Ein weiteres wichtiges Argument für das Rotationsprinzips ist der positive Einfluss auf die technische Entwicklung der Spieler. Auf der Position des Stürmers lernt ein Kind, den Ball mit dem Rücken zum Tor richtig zu verarbeiten, als Innenverteidiger übt es frontale Annahmen, auf der Sechs das Durchstecken von Bällen, auf den Außen Flanken vors Tor. Da an jede Spielposition auch besondere Fähigkeiten mit dem Ball geknüpft sind, ermöglicht uns das Rotationsprinzip neben der Verbesserung des taktischen Verständnisses auch eine ganzheitliche technische Ausbildung. Kinder, die nicht im Rotationsprinzip spielen, können sich dagegen technisch kaum entfalten. Sie bleiben in ihrer technischen Entwicklung stehen. Nur Trainer, die mit dem Rotationsprinzip arbeiten, können Kinder zu technisch perfekten Fußballern ausbilden.
Wenn Sie sich unserem Rotationsprinzip arbeiten, werden Sie gegen spezialisierte Mannschaften mit Sicherheit Spiele verlieren, die Sie beim Verzicht auf die Rotation locker gewonnen hätten. Doch das kurzfristige Gewinndenken schadet der langfristigen Entwicklung der Kinder. Wir wissen genau, wie schwer es ist, vor allem Eltern von einem solchen Zukunftsversprechen zu überzeugen. Wir haben oft genug erlebt, wie Eltern unruhig wurden, wenn in den ersten Jahren der Ausbildung die Ergebnisse nicht ganz die waren, die sie sich gewünscht haben. Die Kinder selbst haben mit dem Rotationsprinzip keine Probleme. Natürlich wird es bei dem einen oder anderen immer eine Lieblingsposition geben und Sie werden als Trainer sicher auch mal den Spruch hören: „Ich will aber nicht in der Abwehr spielen.“ Warum? „Weil es mir schwer fällt, hinten zu bleiben und ich nicht nach vorne laufen kann.“ Wunderbar, ganz von allein hat das Kind das taktische Wesen der ungeliebten Position erkannt und verinnerlicht. Trösten Sie es, das es ja bald wieder in dem Sturm rotieren wird und halten Sie uneingeschränkt am Rotationsprinzip fest.
Die Spieler werden nicht nur zu besseren Fußballern! Sie werden es uns irgendwann danken. Das mag nicht morgen sein, aber es kommt der Tag, wo auch die Spieler erkennen, dass dieser Weg ihnen gut getan hat!
Also was Hitzfeld und Guardiola können, können wir schon lange:-)
Eine gute Fußballzeit!
Euer Michi